Das Phänomen (DEZ 18)
im Nov. 2018
Liebe Freundinnen und Freunde des Kabaretts,
am 06. Dezember 2005 verstarb Hanns Dieter Hüsch. Eine Gelegenheit für mich, noch mal daran zu erinnern, dass ich ohne ihn niemals meine Liebe zum Kabarett entdeckt hätte. Und dass ich später mit ihm einen Förderer hatte, ohne den meine ersten Schritte als Kabarettist anders verlaufen wären.
Und angesichts der Tatsache, dass die Universität Leipzig letzten Monat in einer Langzeitstudie veröffentlicht hat, dass 36% der Deutschen die Bundesrepublik für gefährlich überfremdet halten und der Aussage zustimmen würden, Ausländer kämen nur hierher, um den Sozialstaat auszunutzen. Und über 25 % der Deutschen Ausländer in ihre Heimat zurückschicken würden, wenn in Deutschland die Arbeitsplätze knapp werden, ist es mal wieder an der Zeit, einen Text zu veröffentlichen, der mir vor über 35 Jahren Augen und Herz geöffnet hat.
Das heißt nicht, dass ich etwas beschönigen will: Ja, es kamen auch Kriminelle nach Deutschland, die Straftaten begehen, bis hin zu Kapitalverbrechen. Das ist nicht akzeptabel, und muss aufs konsequenteste verfolgt und bestraft werden. Wer aber wegen einer Minderheit von Arschlöchern pauschale Politik gegen Notleidende, Hilfesuchende und Schutzbedürftige macht, der sollte sich mal folgende Zeilen zu Gemüte führen, und sich fragen, ob er das überhaupt noch besitzt: ein Gemüt!
Das Phänomen (Hanns Dieter Hüsch)
Was ist das für ein Phänomen
Fast kaum zu hören kaum zu sehn
Ganz früh schon fängt es in uns an
Das ist das Raffinierte dran
Als Kind hat man’s noch nicht gefühlt
Hat noch mit allen schön gespielt
Das Dreirad hat man sich geteilt
Und niemand hat deshalb geheult
Doch dann hieß es von oben her
Mit dem da spielst du jetzt nicht mehr
Das möcht ich nicht noch einmal sehn
Was ist das für ein Phänomen
Und ist man grösser macht man’s auch
Das scheint ein alter Menschenbrauch
Nur weil ein andrer anders spricht
Und hat ein anderes Gesicht
Und wenn man’s noch so harmlos meint
Das ist das Anfangsbild vom Feind
Er passt mir nicht er liegt mir nicht
Das ist das nicht und find ihn schlicht
Geschmacklos und hat keinen Grips
Und ausserdem sein bunter Schlips
Dann setzt sich in Bewegung leis
Der Hochmut und der Teufelskreis
Und sagt man was dagegen mal
Dann heisst’s: Wer ist denn hier normal
Ich oder er du oder ich,
ich find den Typen widerlich
Und wenn du einen Penner siehst
Der sich sein Brot vom Dreck aufliest
Dann sagt ein Mann zu seiner Frau
Guck dir den Schmierfink an die Sau
Verwahrlost bis zum dorthinaus
Ja früher warf man die gleich raus
Und heute muss ich sie ernähr’n
Und unsereins darf sich nicht wehr’n
Und auch die Gastarbeiterpest
Der letzte Rest vom Menschenrest
Die sollt man alle das tät gut
Spießruten laufen lassen bis auf’s Blut
Das hamwer doch schon mal gehört
Da hat man die gleich streng verhört
Verfolgt gehetzt und für und für
Ins Lager reingepfercht und hier
Hat man sie dann erschlagen all
Die Kinder mal auf jeden Fall
Die hatten keinem was getan
Was ist das für ein Größenwahn
Das lodert auf im Handumdrehn
Und ist auf einmal Weltgeschehn
Denn plötzlich steht an jedem Haus
Die Juden und Zigeuner raus
Nur weil kein Mensch derselbe ist
Und weiß und schwarz und gelbe ist
Wird er verbrannt ob Frau ob Mann
Und das fängt schon von klein auf an
Und wenn ihr heute Dreirad fahrt
Ihr Sterblichen noch klein und zart
Es ist doch eure schönste Zeit
voll Phantasie und Kindlichkeit
Lasst keinen kommen der da sagt
Dass ihm dein Spielfreund nicht behagt
Dann stellt euch vor das Türkenkind
dass ihm kein Leids und Tränen sind
Dann nehmt euch alle an die Hand
Und nehmt auch den der nicht erkannt
Dass früh schon in uns allen brennt
Das was man den Faschismus nennt
Nur wenn wir eins sind überall
Dann gibt es keinen neuen Fall
Von Auschwitz bis nach Buchenwald
Und wer’s nicht spürt der merkt es bald
Nur wenn wir in uns alle sehn
Besiegen wir das Phänomen
Nur wenn wir alle in uns sind
Fliegt keine Asche mehr im Wind
Lieber HG Butzko, danke für diesen Text! Diesen habe ich noch nicht gekannt. Den kriegen meine Enkel weitergeleitet. Genauso wie "Ich glaube an die Liebe" von Hüsch. Alles Gute Helga Edenharder
Hallo Herr Butzko,
es ist schon ziemlich lange her, so ca. Anfang der 80ger, als ich H.D. Hüsch in Duisburg live gesehen habe. Dieser Text hat auch mir die Augen geöffnet. Dann
hatte ich eine Schallplatte mit dem Text, die verschwunden ist. Nun habe ich ihn wieder. Danke!
Gerade heute sollte man sich das noch mal zu Gemüte führen.
Und dann mal zu Ihnen:
Machen Sie weiter so. Viele Ihrer Texte sind ebenfalls Augenöffner.
Alles Gute für 2019.
Friedhelm Niesbach
Lieber HG.,
auch ich wurde von Hanns Dieter Hüsch sozialisiert und vermisse ihn sehr.
1978, da war ich 10 Jahre jung, setzte mich mein Bruder an einem Mittwoch Abend vor das Radio und sagte: "Hör Dir das mal an."
WDR2 spielte in "Streng Öffentlich" das Programm "Das schwarze Schaf vom Niederrhein".
Da ich diesbezüglich familiär vorbelastet bin, habe ich sofort verstanden. Trotzdem war es noch ein weiter Weg, aber bis heute lässt mich das Kabarett nicht los.
Ein Kontakt zu Franz Hohler verschaffte mir Zutritt zum Deutschen Kabarettarchiv, in dem ich die Orgel bewundern durfte. Dort ging mir der Text wieder mal durch den Kopf.
Die Zeilen sind nicht kompliziert, abgehoben oder elitär. Das kann wirklich jeder verstehen.
Leider wollen immer weniger Menschen sowas hören.
Zitiere weiter, HG. und Danke.
Gruß,
Thomas.
Super, dass du du an Hüsch erinnerst.
Er war immer aktuell und ist es sogar heute noch.
Das Phänomen, ein echter Hüsch. Heute genauso aktuell wie damals. Es benennt die Wahrheit, die viele immer verleugnen wollen.
Gänsehaut! Hüsch eben! Danke...
Danke, lieber HG, ich werde diese Verse weiter schicken! Erschreckend immer noch aktuell und sehr berührend! Liebe Grüße, Erika
DANKE
Diesmal ein besonders berührender Newsletter, wo ich grad von einem Kongress zurück ins Hotel gekommen bin und in unter meinen Mails gefunden habe. Die letzte Einheit meines heutigen Programms war ein Gespräch mit Margot Friedlander, einer Holocaustüberlebenden. Der Butzkoletter rundet den Tag für mich ab, danke!!!
Ich überlege schon länger, ob es nicht sinnvoller wäre, erst mal dran zu arbeiten, die ganzen Nazis und Rassisten hierzulande zu integrieren - oder SIND die vielleicht schon integriert in den Augen der Mehrheit?
Lieber H.G.
Diesmal hat Dein newsletter meine Seele berührt.
Ich bin nicht in den social-medien unterwegs und habe noch niemals einen Kommentar geschrieben zu "Massen-emails".
Aber es ist mir heute wichtig, Dir ein großes Lob auszusprechen, für Dein kabarettistisches Wirken (habe Dich mehrfach live in Berlin erlebt!!).
Mein Leben wurde auch von H.D. Hüsch geprägt mit seinem Lied "Der Faschismus fängt in der Küche an". Leider habe ich niemals das Lied mehr gefunden und nie wurde es in "Gedenksendungen" an ihn gespielt. Damals saß ich mit Tränen in einer Vorstellung in Bremen.
Falls Du irgendeine Info hast zu diesem Lied, dann wäre es in heutiger Zeit aktueller denn je.
Dein zitiertertes Lied hingegen kannte ich nicht und könnte glatt wieder "heulen".
Ich rufe Dir ein fröhliches WEITER-SO zu und hoffe Dich bald wieder in Berlin
beklatschen zu können.
Ganz herzliche Grüße
Erika
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Als Kind hat man’s noch nicht gefühlt
Hat noch mit allen schön gespielt
Das Dreirad hat man sich geteilt
Und niemand hat deshalb geheult
.
Das stimmt leider so nicht. Etwa noch nie gesehen, wenn ein zwei-dreijähriger - vielleicht vier, fünf einem anderen Kind einen Klotz an den Kopf wirft?
Das scheint in uns Menschen so drin zu sein, natürlich nicht bei jedem gleich. Ich denke - glaube - jeder Mensch kommt mit einem gewissen Konto auf diese
Welt auf dem schlechte, wie gute Sachen notiert sind. Sicher kann man sagen, ok das liegt an der Erziehung der Eltern, wenn es denn welche gibt. Richtig.
Das widerspricht aber nicht dem, dass es das Konto ist, welches die Entwicklung bewirkt. Bitte versteh mich nicht falsch. Ich würde keinem Menschen Hilfe verweigern, der darum bittet. Mich bedrückt - und das ist bestimmt bei sehr vielen nicht anders, das bei den Sachen die schief laufen (Hassprediger, Parallelgesellschaften, ggf. Terror und anderer Mist) der Staat so dumm da steht wie einer Behinderter mit IQ unter 50.
Darum wenden sich so viele ab und anderen Gruppierungen zu, die dieses (vielleicht) verstanden haben.
Leider war ja diese Entwicklung so vorhersehbar wie Weihnachten, nach dem rotgrünschwarzgelb gewisse Reformen eingeführt und Agenden durchgezogen haben.
Ich glaube das keiner (oder die wenigsten) von denen die sich jetzt nach rechts wenden wirklich Hass will. Mache Menschen sind halt mit dickeren Gehirnen auf diese Welt gekommen als andere und überblicken die Sache anders. Eine rosarote Brille sollte aber lieber keiner aufsetzen.
Inzwischen gibt es auch unter den etablierten Kräften welche, die etwas eingestehen, dass diese Reformen und Agenden wohl doch möglicherweise nicht so gut waren.
Nichts desto Dingens hoffe ich genau wie du, dass sich noch alles zum Guten wenden lässt.
Also keine Politik gegen sondern für diejenigen die wirklich Hilfe brauchen!
Gute Grüße
Uwe van Staa