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Die tollen Tage (MÄRZ 18)

im Feb. 2018

Der Februar stand ganz im Zeichen des Karnevals, und angesichts des närrischen Treibens auf der Welt war der Begriff „Die tollen Tage“ wohl nie passender, als in diesem Jahr.

So hielt z B die 92-Jährige Auschwitz - Überlebende Anita Lasker-Wallfisch im deutschen Bundestag eine Rede zum Gedenken an den Holocaust. Und als es in dieser Rede darum ging, notleidenden Menschen auf der Flucht Asyl zu gewähren, verweigerten Abgeordnete der AfD den Beifall.
Wir halten fest: 12,6% der Deutschen haben bei der letzten Wahl eine Partei gewählt, die den politischen Anstand zu Grabe trägt. Bei diesen Wählern bekam also der Begriff „Urnengang“ eine völlig neue Bedeutung

Auch die deutsche Automobilindustrie hat sich überlegt, wie sie ihren Anteil zum Gedenken beitragen kann. Ob es allerdings eine gute Idee war, ausgerechnet an Menschen Experimente mit Gas durchzuführen, ist noch nicht geklärt.

Und weil in letzter Zeit sehr viele Leute dachten, man solle doch diese ganzen Dieselautos am besten einfach zum Mond schießen, haben die US-Amerikaner genau das jetzt gemacht. Also ein Auto zum Mond geschossen. Also nicht bis zum Mond, aber Richtung Mond. Also zum Mars. Und nicht ein Dieselauto, sondern eins mit Elektroantrieb, aber immerhin. Wir sehen: Seit Donald Trump im weißen Haus sitzt, sind die USA nicht nur das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern auch der unmöglichen Begrenztheiten.

Und wo wir grade beim Thema sind: US-Präsident Donald Trump hielt eine Rede zur Lage der Nation. Ein zentrales Thema war dabei die enormen Kursgewinne an den Aktienmärkten im letzten Jahr, für die Trump nicht nur seine Politik verantwortlich macht, sondern auch einfach komplett ihn selbst. Und seine großartige Aura. Wer allerdings dafür verantwortlich ist, dass es jetzt im Februar, kurz nach dieser Rede zu einem weltweiten Börseneinbruch kam, hat er noch nicht heraus gefunden. Wahrscheinlich die Mexikaner, die Muslime, oder Meryl Streep.

Ein anderes Thema in seiner Rede zur Lage der Nation war sein Konflikt mit Nordkoreas Diktator Kim Jong Un. Also auf der einen Seite: Ein kleiner wichtigtuerischer Großkotz mit Protzgehabe und ohne Ahnung von Diplomatie. Auf der anderen Seite: Kim Jong Un.

Und wenn zwei Wichtigtuer sich im Sandkasten kloppen, kann der Dritte nicht fern bleiben. Weshalb sich dann auch noch der türkische Ministerpräsident Erdogan meldete, und Donald Trump wegen seiner Unterstützung der syrischen Kurden eine „osmanische Ohrfeige“ androhte. Eine „osmanische Ohrfeige“. Nicht zu verwechseln mit der „katalanischen Kopfnuss“ oder der „Wolfrathshausener Watschn“.

Der österreichische Dramatiker Thomas Bernhard hat in der 70er Jahren mal ein Theaterstück geschrieben mit dem Titel: „Der Ignorant und der Wahnsinnige“. Jetzt frage ich mich, woher kannte der Bernhard damals schon den Trump und den Erdogan.

Und apropos Erdogan: Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel wurde nach über einem Jahr in einem türkischen Gefängnis, ohne Anklage und ohne Prozess mit vorbildlicher Rechtsstaatlichkeit aus der Haft entlassen. Dass Sigmar Gabriel sich bei allen bedankte, die an dieser Freilassung gearbeitet haben, hatte aber nichts damit zu tun, dass die türkische Justiz völlig unabhängig und ohne politischen Einfluss entschied. Auch dass Erdogan dafür irgendeine Form von militärischer Unterstützung erhalten soll, ist ebenfalls völlig abwegig. Wieso auch? Schließlich hält dieser Mann übrigens immer noch Angela Merkel syrische Kriegsflüchtlinge vom Hals. Oder mit anderen Worten: Angela Merkel hätte auch Uli Hoeneß zum Steuerfahnder machen können.

Der türkische Ministerpräsident Yildirim sprach dann auch sogleich davon, dass nach der Freilassung Yücels wieder Normalität in den deutsch-türkischen Beziehungen eintreten könne. Was mich doch etwas verwundert, schließlich habe ich für all die Hitler-Vergleiche und Nazivorwürfe gegenüber der deutschen Regierung im letzten Jahr noch von keinem türkischen Regierungsmitglied eine Entschuldigung gehört.

Schön auch jener Freitag abend, als im Fernsehen „Mainz bleib Mainz“ lief. Da saß ich also auf meinem Sofa, schlug mir vor Lachen auf die Schenkel, bis ich merkte: Ich gucke gar nicht Sitzungskarneval, sondern eine Pressekonferenz mit Martin Schulz.

Am Sonntag darauf, den 11. Februar hätte übrigens eine Ausgabe der allseits beliebten Talk-Show mit Anne Will stattfinden sollen. Sie fand aber nicht statt. Grund dafür: Nicht ein einziger Politiker wollte sich zur aktuellen Lage äußern. Eine Entscheidung, die meinetwegen auch gerne die nächsten 100 Talk-Shows genau so beibehalten werden kann.

Der AfD-Vorsitzende von Sachsen-Anhalt Andre Poggenburg hielt dagegen am Aschermittwoch eine Rede, in der er die türkisch-stämmig Minderheit in Deutschland mit einem Vokabular bedachte, das ich hier nicht weiter verbreiten will. Hinterher sagte Poggenburg, diese Sätze wären Satire gewesen und nicht ernst gemeint. Und das machen sie ja immer wieder gern bei der AfD, diese politische Übung, namens Standpunktpirouette. Wäre Zurückrudern olympische Disziplin, die AfD hätte mit Abstand die meisten Goldmedaillen.                           

Apropos: In Pyeong Chang wurden in diesem Monat die olympischen Winterspiele durchgeführt. Olympische Winterspiele, oder wie Wladimir Putin das nennt: Weltdopingtreffen. 

Außergewöhnlich erfolgreich waren dabei die deutschen Olympioniken. So war der Medaillenspiegel der deutschen Mannschaft so gut, wie schon ewig nicht mehr. Und weil uns das, was deutsche Sportler bei olympischen Winterspielen so alles leisten, so dermaßen erfreut und wahnsinnig interessiert, kommen wir jetzt... zum nächsten Thema:                          

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert ein Ende des Cannabis-Verbots. Die Antwort aus der CSU kam postwendend: "Das könnt Ihr in der Pfeife rauchen."                     

Im ewigen Kampf zwischen Medizin und Krankheiten ist die Medizin mal wieder 1:0 in Führung gegangen. Grund dafür ist eine statistische Untersuchung, derzufolge immer mehr Menschen Krebs überleben. Vor allem auch aufgrund neuerer, moderner Therapiemethoden sind die Chancen für erfolgreiche Tumorbehandlungen enorm gestiegen.

„Was kann man da wohl machen?“, dachten sich darauf die Krankheiten, und fanden eine Lösung: Resistente Keime in deutschen Gewässern, und schon steht’s wieder Unentschieden.                            

In Mecklenburg-Vorpommern sind währenddessen 100 Meter der A20 komplett in beide Fahrtrichtungen zusammengestürzt. Also der A20, also einer deutschen Autobahn. Wenn das der Führer wüsste.

Die Bundesregierung will angesichts einer drohenden Klage der EU-Kommission ihre Maßnahmen für saubere Luft in deutschen Städten deutlich ausweiten, und aus diesem Grund einen bundesweiten kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr einführen. Eine Nachricht, die so sensationell klingt, dass ich erst mal reflexartig auf den Kalender gucken musste, ob wir nicht den 1. April hatten. Ergebnis: hatten wir nicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.



In Florida hat ein Mann mit einem Gewehr wahllos andere Menschen umgebracht. Das ist, nachdem dasselbe vor einiger Zeit ein Mann in einer Kirche in Texas gemacht hat, und ein anderer Mann auf einem Open-Air-Konzert in Las Vegas, binnen kürzester Zeit das dritte mal, dass in den USA wehrlose Menschen von einem Massenmörder erschossen wurden. 

Wichtig ist dabei festzuhalten, dass keiner der Täter vorher „AllahuAkbar“ gerufen hat, was zeigt, dass das Einreiseverbot für Muslime zur Erhöhung der inneren Sicherheit Früchte trägt.
Stattdessen meinte Donald Trump, man müsse sich mehr um psychisch erkrankte Menschen kümmern. Sagte Donald Trump. (Reicht eigentlich als Pointe, oder?)

Dieter Degowski, einer der beiden Gladbecker Geiselgangster vor 30 Jahren kommt auf freien Fuß. Was mich zu der Frage führt, wann er dann wohl demnächst bei Frank Plasberg zu Gast sein wird. Schließlich kennen sich die beiden ja noch von damals. War doch Plasberg einer jener Reporter, die seinerzeit in der Kölner Innenstadt das Auto mit den Geiselnehmern in journalistischer Sensationsgier umstellt und somit der Polizei die Arbeit erschwert haben.



Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp Karrenbauer übernimmt in Berlin einen Sekretärinnenposten, und zeigt damit, welchen Stellenwert im Vergleich dazu ein Regierungsamt in Saarbrücken hat. Wäre ich Saarländer würde ich mich ganz schön ausgebootet fühlen. Und zwar so ausgebootet, wie Jens Spahn, der diesen Berliner Tippsen-Job eigentlich bekommen wollte und sollte. Dass Jens Spahn sich jetzt aber in die Schmollecke zurückzieht, ist keine Option. Schließlich sitzt darin schon der ausgebootete Alexander Dobrindt.
Neben dem augebooteten Martin Schulz und dem ausgebooteten Sigmar Gabriel. Da bekommt der Begriff: „Das Boot ist voll“ eine völlig neue Bedeutung.

Und weil am Aschermittwoch bekanntlich alles vorbei ist, kündigte ich dann auch für diesen Tag die Löschung meines Facebook-Account an. Ein Statement, das die ein oder andere Diskussion ausgelöst hat, in wieweit die Digitalisierung als gesellschaftszersetzendes Suchtproblem betrachtet werden darf. 


Lustig, dass dabei - wie immer - auch so mancher Depp dabei war, der Polemik nicht von Hetze unterscheiden konnte, die Diffizilität des Themas eher unterkomplex reflektierte, oder einfach nur den eigenen Psychomüll unbedingt auf mich projezieren musste.

Lustig auch Kommentare wie: „Irgendwann hab ich aufgehört zu lesen.“ oder: „Der Text ist zu lang.“ Und da musste ich schon ein wenig schmunzeln. Denn an solchen Äußerungen kann man gut erkennen, wie sehr facebook z B unsere Lesegewohnheiten und Aufmerksamkeitsspannen bereits im Griff hat. 

Mal ehrlich, wie kann ein Text zu lang sein? Ein Text kann nur für jemanden zu lang sein, der Angst hat, den nächsten Scheiß in seiner Timeline zu verpassen, weil die ja noch nicht weiter gescrallt ist, und wer weiß, was da noch alles an Neuigkeiten wartet, und so scrallt man und scrallt man ohne Ende, und merkt gar nicht, wie man bereits einem der vielen raffiniert konstruierten Suchtmechanismen auf den Leim gegangen ist...

Manche beschwerten sich auch, weil ich so „menschenverachtend“ über Nerds her gezogen habe. Und das tut mir natürlich leid. Selbstverständlich darf ein Satiriker über Politiker, Polizisten, Journalisten, Pfaffen, Prediger, Banker, Unternehmer, Kapitalisten, Fußballer, Stars, Promis und sonst noch wen spotten, aber über verkopfte Computersüchtels, nein, das geht natürlich zu weit! Wie schreibt man „Sorry“ in Einsen und Nullen?

Ein weiteres interessantes Gegenargument war: „Man hat es doch selber in der Hand.“ oder: „Es kommt darauf an, was man draus macht.“ Und dazu sage ich: Möhp! Falsch!.
Mal abgesehen davon, dass Junkies immer gerne Floskeln absondern wie z.B: "Ich habs im Griff" oder "Ich kann damit umgehen". Was häufig aber nur das Stadium der Verleugnung ist. Und selbst wenn einzelne das wirklich können sollten, Kinder können es nicht. Und das ist den digitalen Dealern bewusst und egal.

Und das ist es, worum es mir geht.

Also nicht darum, ob ich evtl. (wie manche mir unterstellten) zu wenig Aufmerksamkeit bekomme, oder dass die Daten- und Überwachungspotentiale inzwischen erschreckende Ausmaße angenommen haben, oder dass dieser berühmte Algorithmus das Verhältnis von Geben und Nehmen zugunsten von facebook verschiebt und die User ausbeutet. Bitte, daran haben wir uns doch schon längst gewöhnt.

Nein, was mich dazu bewogen hat, meinen Account dicht zu machen, sind die Wortmeldungen führender Mitarbeiter von facebook, google und apple, wie z B: Tony Fadell,
Sean Parker,
Tristan Harris,
Loren Brichter,
James Williams
oder Chamath Palihapitiya. Ihr könnt deren Aussagen, und von etlichen weiteren Leuten problemlos im Netz finden (einige stehen in meinem Statement).

Und sie alle machen übereinstimmende Geständnisse, nämlich dahingehend, dass diese Konzerne eben nicht in erster Linie daran interessiert sind, uns das Leben zu erleichtern, sondern in erster Linie ist es interne Unternehmensstrategie, uns so profitabel wie möglich abhängig zu machen.

Dachte ich bislang, dass der offensichtlich weit verbreitete Zwang, ständig aufs Handy glotzen zu müssen, ein therapiebedürftiges Problem der Nutzer wäre, so widersprechen diese Firmeninsider eindeutig. Das Suchtverhalten ist kein unbeabsichtigter Nebenaspekt ihrer Produkte, es ist ihr absichtlich herbei geführtes Hauptanliegen.

Was für mich auch kein Problem wäre, wenn diese Unternehmen dabei nicht auch die psychische und geistige Deformation von Kindern billigend in Kauf nehmen würden.

Und solange sich daran nichts Grundsätzliches ändert, will ich die Verantwortlichen nicht länger durch meine Anwesenheit in ihren Netzwerken unterstützen. Nur darum geht’s mir bei meinem Rückzug:

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Wenn ich ein Unternehmen wie amazon boykottiere, kann ich bei einem Unternehmen wie facebook nicht mehr mitmachen !

Und wie das geht, kann man sich in diesem 90-sekündigen Clip gerne mal angucken. Anderthalb Minuten, die die Welt verbessern!
-> KLICK

 





 

 

Lutz Hartmann

Lieber HG, wie immer völlig meine Meinung.Willst Du Dir nicht 'mal Gedanken über unsere Bundesweht machen? Flinten-Uschi will ja jetzt denh gesamten Irak einnehmen.Vielleicht, weil die Soldaten da auf Kamelen reisen,(Panzer sind kaputt) und Wasserpistolen sind bei dem Wetter viel praktischer als Gewehre, die um duie Ecke schiessen. In dem Sinne:weiter so.
LH

Lutz Bassin

Für mich war dein letzter Kabarettletter über facebook und Co und deren Ex-Mitarbeiter das Beste was ich jeh zu diesem Thema gelesen habe! Und ich höre nicht auf zu lesen, bloß weil der Text sooo lang ist.
Danke dafür!
Gruß Lutz

Carsten Kespohl

Ich stimme zu! Manchmal muss ich mich wundern, wenn ich von Menschen höre, die sich über die Inhalte von Kabarett und Satire echauffieren. Selbst ich als passionierter Radfahrer kann doch über die eher radfahrerkritischen Kommentare von Andreas Rebers schmunzeln. Im Grunde steckt ja auch ein bisschen Wahrheit drin. Aber Humor und selbstkritisches Hinterfragen sind Eigenschaften, die, leider, unterrepräsentiert sind in unserer modernen, digital organisierten, Gesellschaft. Ich stimme da Volker Pispers zu, der die These in den Raum stellt, politische Kabarettveranstaltungen seien moderner Hablasshandel... Solange wir, und ich sage bewusst WIR, die satirischen Aussagen der Wortkünstler ablächeln, ohne Konsequenzen für uns daraus zu ziehen, sind die Aufführungen "Don Quijot'sche" Bemühungen für eine bessere Welt. Aber vielleicht wird da auch ein Samenkorn geworfen, dass Zeit benötigt, um zu keimen... Weiter so, Herr Butzko de la mancha, Chapeau!

Renate Butke

Sehr geehrter Herr Butke!
Herzlichen Dank für diesen ausführlichen Brief, welch eine Arbeit. Ich habe ihn mir ausgedruckt und als kleine Zeitung gelesen.
Freue mich aufs nächste Mal.
Gruß
R. butke

Sylvi Burkert

Danke auf alle Fälle! Großartig, leite es an unseren Vorstand weiter. Solidarische Grüße