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Zeitenwende (MÄRZ 23)

im Feb. 2023

Liebe Freundinnen und Freunde,

vor einem Jahr begann die Zeitenwende in Deutschland, weil zu den weltweit dutzenden Kriegen, die uns zuvor nicht mal ansatzweise die Bohne gejuckt haben, ein neuer hinzugekommen ist, der alles änderte.
Wobei auch dieser Krieg nicht wirklich ein neuer ist, denn Wladimir Putin hat ja nicht ein friedliches, in Harmonie lebendes Land überfallen, dessen Bevölkerung vor lauter Eintracht nicht wusste, wohin mit seiner Glückseligkeit. Und damit meine ich nicht die Eintracht in Frankfurt. Und auch die in Braunschweig nicht.

Tatsächlich hat Putin in einen bereits seit Jahren laufenden Bürgerkrieg eingegriffen, und gleichwohl war dieser Eingriff ein unverhältnismäßiger, übergriffiger, aggressiver Angriffskrieg, mit einem Wort: völkerrechtswidrig.
Und meine uneingeschränkte Solidarität gehört zu 100% nach wie vor der ukrainischen Zivilbevölkerung, egal, welche Sprache sie spricht. Aufgerieben und zerrissen zwischen den Machtinteressen von Global Playern, die stets nur das beste für die Welt wollen: Ein konstruktives Zusammenleben aller Menschen auf diesem Planeten in Freiheit, Würde und Überwindung von nationalen Interessen. Zumindest, für die die Erde noch eine Scheibe ist.

Und selbstverständlich hat die Ukraine jedes Völkerrecht, sich zu wehren und selbst zu entscheiden, wann es die Verteidigungsmaßnahmen einstellen will. Und nicht Sarah Wagenknecht oder Alice Schwarzer. Margot Käsmann scheidet ganz aus. OK, selbst zu entscheiden natürlich nur, sofern es westlichen Waffenlieferanten genehm ist.

Wobei man trotz aller berechtigten Kritik am Standpunkt der Damen Wagenknecht und Schwarzer nicht übersehen sollte, dass sie in einem Aspekt richtig liegen könnten: Dieser Krieg wird am Verhandlungstisch beendet und nicht auf dem Schlachtfeld. Und ich möchte noch hinzufügen, dass am Verhandlungstisch dann Leute sitzen werden, die zuvor selber nicht eine Sekunde auf dem Schlachtfeld waren. Der Film „Im Westen nichts Neues“ erhielt bei den Oscars neun Nominierungen. „Nichts Neues“ ist der Titel, dem man grundsätzlich jedem Krieg, wie auch dem zurzeit „im Osten“ geben könnte.

Und auch Jürgen Habermas stellte eine Frage zum Kriegsgeschehen, die man nicht überhören sollte: „Was passiert eigentlich, wenn den Ukrainern die Truppen ausgehen?“ Eine Frage, die sicher auch die Strategen in Moskau und in Kiew erörtern. Und in Washington und in Brüssel ebenfalls. Darauf die Reaktion in Deutschland: „Shitstorm volle Kraft voraus!

Und apropos Truppenstärke: Was passiert eigentlich mit den 12.000 ukrainischen Männern, die beim Versuch, den Kriegsdienst zu verweigern verhaftet wurden? Haben sich die Wehrdienstverweigerer Hofreiter oder Habeck dazu inzwischen schon mal geäußert. Oder wurden sie zumindest auch nur ein einziges mal danach gefragt? In irgendeiner Talkshow?

Und wenn Putin sagt, dass er mit Nazis in der Ukraine die Verehrer von Stepan Bandera meint, kann Agnes Strack Zimmermann mal klarstellen, ob die Verehrung von Stepan Bandera Nazitum ist, oder nicht? Oder kann man sie auch nur ein einziges mal danach fragen? In irgendeiner Talkshow?

Und das ist eigentlich das genialste, was sich seit der Zeitenwende auf der Welt, wie bei uns im Lande abspielt. Ein durchpolarisiertes Schwarz-Weiss-Denken. Und wenn ich dann noch Formulierungen wie: „die“ Russen höre, oder noch besser „der“ Russe, dann hüpft mein Herz vor Differenzierungsfreude. Ebenso, wenn Russen von „dem“ Westen sprechen.

Jahrelang sagte Putin, dass er sich vom Westen bedroht fühlt.
Und jahrelang sagte der Westen darauf: „Ist doch gar nicht der Fall.“
Wer entscheidet, wann man sich bedroht fühlen darf?
Wenn Frauen sich von Männern bedroht fühlen?
Oder Schwarze von Weissen?
Oder Ukrainer von Russen?

Und apropos Talkshows:
Warum darf im deutschen Fernsehen nicht mal ein Separatistenführer seine Sicht der Dinge darlegen? Nun, wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, warum ein ukrainischer ASOV-Kommandant das nicht im russischen Fernsehen darf.
Weil’s Propaganda ist! Also für die jeweils andere Seite. Und mit dem Vorwurf „Propaganda“ ist jede Diskussion beendet. „Das ist Propaganda“ ist der Satz, der von jeglicher Mühe befreit, Gegenargumente liefern zu müssen.

Dabei las ich mal von einem US-amerikanischen Journalisten, namens Rod Dreher den Satz: „Propaganda bedeutet nicht, dass es eine reine Lüge ist, und in jedem Fall ist es wichtig zu wissen, wie die andere Seite einen Konflikt sieht, wenn auch nur, um zu verstehen, wie sie wahrscheinlich denkt.“
Und ich kann mich nicht wehren, so sehr ich es auch versuche, aber ich finde, da ist was dran. Aber wenn etwas zurzeit unerwünscht ist, dann, die andere Seite zu verstehen. Und zwar auf beiden Seiten. Und genau das und nichts anderes ist gemeint mit Zeitenwende.

Assunta Tammelleo

Lieber HG,
besten Dank für die Zusendungen. Mich erbauen diese Zeilen und regen zum Nachdenken an, weil es so schwer geworden ist, aus dem Einheitsbrei der Meinungen (SZ, Münchner Merkur, BR2 und taz am Wochenende) sich irgendwie sowas wie eine Meinung zu bilden. Wenn die großen Medien mehr oder weniger alle dasselbe kund tun, dann ist es - wurschd, um wen/was es gerade geht - an der Zeit, genau dieses Phänomen durchaus kritisch zu hinterfragen zu versuchen. Das galt beispielsweise schon für Reagan, Bush (jun. und sen.) und gilt für Putin, Osama bin Laden, Trump, Johnson etc. genauso, einfach für alle! Nicht mehr und nicht weniger!

Beste Grüße aus Südbayern von Assunta

Heinrich Glöckle

Heinrich
ja lieber HG Butzko, jetzt hast du schön beide Seiten dargestellt. Und es ist klar für mich, dass es keine schwarzen bez nur weise Schafe gibt.Die sind auf beiden Seiten vorhanden. Aber was wolltest du eigentlich zum Ausdruck bringen? Auf den Punkt zu bringen scheint mir, das fällt dir schwer. Das stellte ich bereits in deinen vorherigen Monatskomentaren fest. Mir kommt es vor, da eierst du um das Thema herum wie viele Politiker.
Noch ergänzend zu einem Kommentar von O.Henkel, Nuhr, deine Meinung und die von anderen sind wichtig um seine eigene Meinung immer wieder selber zu überprüfen. Auch das ist ein Teil der Meinungsbildung und Demokratie.
PS ich war auch in der Ukraine und in Russland vor Coronazeit. Es ist kein Krieg der Russischen Bevölkerung, sondern der Politiker und Generäle, also Menschen die nicht in Kampfhandlungen eingebunden sind. Es ist auch nicht der erste Krieg unter Putin, oder wissen wir das im Westen nicht mehr. Wir sind dabei aufzuwachen und erleben jetzt eine ganz andere Realität, leider.

Anke Tydecks-Jürging

Bedroht fühlt sich seit ihrer Unabhängigkeit die kleine Republik Litauen, ebenso wie andere ca. 1990 in die Unabhängigkeit von der Sowjetunion gelangte Staaten, die so schnell wie möglich in die Nato strebten, eher, als in die EU. Sie sind nicht vom Westen in das Bündnis gezwungen worden, um Putin (oder wer sonst noch sich da bedroht fühlt) den Nachtschlaf zu rauben. Das war für mich als "links" denkende westliche Besucherin nur schwer nachzuvollziehen bei meinen Besuchen dort. Heute verstehe ich. Aus Überzeugung habe ich gegen Kriege demonstriert, die von den USA ausgingen und völkerrechtswidrig waren. Aber das macht mich auf dem linken Auge nicht blind!

Ariane

Danke für dieses NICHT schwarz-weiß-Denken, sondern für eine Darstellung, die zeigt, wie verworren, uneindeutig und unlogisch das Weltgeschehen und ihre Protagonisten darauf sind.

Marty

Das Beste, weil differenziert und nicht nur vom reinen Schwarz-Weiß-Denken bestimmt, was ich bisher dazu gelesen habe! Danke Butzko, und bitte nicht unterkriegen lassen vom (mit Sicherheit) kommenden Shitstorm, der dich bestimmt als Russen- oder sogar Putinversteher disqualifizieren wird.
Ich war übrigens mehrfach in der Ukraine, lange vor dem Krieg, habe selbst miterlebt wie dort Russen/Russischsprechende lange Zeit benachteiligt wurden (Sprache verboten, enteignet wurden). Und trotzdem steht der Angriffskrieg des Despoten Putin selbstverständlich in keinem Verhältnis dazu, und ist mehr als zu verurteilen.

Sigrid

Ja, Herr Butzko, so ähnlich sehe ich es auch.
Wer sich hier über Ihren Kommentar aufregt, sollte sich mal intensiver mit der Weltgeschichte befassen.
Letztendlich sind die Leidtragenden immer die kleinen Leute, die getötet werden, deren Behausungen man in Schutz und Asche legt, jetzt wieder Mal auch mit deutschem Kriegsgerät.
Wer lauthals nach neuen Waffen schreit, sollte erst mal selbst an der Front kämpfen.
Die Frage ist immer: wer profitiert von diesem Krieg?
Bleiben Sie kritisch.

Oliver Henkel

"Jahrelang sagte Putin, dass er sich vom Westen bedroht fühlt." Wer Putin nicht erst seit 2020 wahrnimmt, der sollte wissen, dass Putin seit Jahrzehnten ausschließlich andere bedroht und tötet. Die Mär vom sich bedroht fühlten Putin hat schon etwas Wagenknechthaftes. In Kombination mit der Attitüde "Die arme Zivilbevölerung, aber die Regierung in der Ukraine hat es doch verdient" stelle ich fest, dass nach Dieter Nuhr HG Butzko der nächste Künstler dieses Genres ist, von dem ich mich verabschiede. Ich bedauere es sehr, aber irgendwann ist halt ein Punkt erreicht.
Und damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich verurteile die völkerrechtswidrigen Überfälle der USA genauso.